Leseprobe "Wen der Tod betrügt!"

»Bleiben Sie bitte, wo Sie sind«, fiel ich ihr ins Wort. »Vielleicht ruft er ja gleich zurück.« Ich diktierte der verwirrten und zugleich besorgten Frau meine eigene Nummer. »Ich fahre selbst hin. Wenn er sich inzwischen bei Ihnen meldet, dann geben Sie mir bitte umgehend Bescheid.«

 

Vielleicht hatte der Geschäftsführer am Rand der Bundesstraße eine Pause eingelegt, vielleicht hatte er einen Schwächeanfall erlitten, überlegte ich, als ich mit Blaulicht auf dem Dach über die Autobahn in Richtung Westen jagte. Vielleicht hatte er unterwegs jemanden getroffen und sich verquatscht. Vielleicht sponn tatsächlich die Elektronik seines Wagens, und die Türen ließen sich nicht mehr öffnen. Vielleicht hatte er einen zweiten Herzinfarkt erlitten, was bei Männern in leitenden Positionen ja hin und wieder vorkam.

 

Vielleicht gab es aber auch eine ganz andere, eine sehr viel schlimmere Erklärung.

 

 

 

Obwohl ich sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen und Anstandsregeln ignorierte, verstrich fast eine halbe Stunde, bis ich die A 61 bei der Ausfahrt Speyer verließ und auf die B 9 einbog. Frau Köhler hatte mir per SMS die GPS-Koordinaten der Stelle mitgeteilt, wo der Mercedes ihres Mannes stand. Wo zumindest sein Handy sich befand.

 

Ich fuhr in Richtung Norden, behielt die Straßenränder im Auge. Noch fünfhundert Meter, zeigte das Navi an, noch vierhundert, noch dreihundert. »Bitte rechts abbiegen«, bat mich die nette und verständnisvolle Frau im Lautsprecher, »dann links halten.«

 

Ich tat, wie geheißen, ging vom Gas, bog ab, hielt mich links. Noch siebzig Meter. Mein Puls raste jetztt, meine Finger waren kalt. Ich fuhr in Richtung Schifferstadt, und dann sah ich ihn. Der Mercedes stand am Rand eines asphaltierten Sträßchens, der links von der Straße abging. Ich bremste, setzte den Blinker, musste erst eine Lücke im Gegenverkehr abwarten, wurde von einem eiligen Menschen hinter mir dezent angehupt, konnte endlich abbiegen. Schon als ich hinter dem Mercedes die Handbremse zog, sah ich, dass der Fahrer auf dem Lenkrad lag. Vielleicht wirklich nur einen Schwächeanfall, vielleicht … hoffentlich …

 

Ich sprang aus dem Wagen, lief nach vorn. Die Beifahrertür stand halb offen. Der Motor lief noch. Köhlers Jackett hing an einem Haken im Fond. Der Kopf merkwürdig verdreht. Und das weiße Hemd über und über voller Blut.

 

Ich riss die Fahrertür auf.

 

Tastete an Köhlers Hals nach Puls.

 

Der Körper war noch warm.

 

Fand keinen.

Mit meiner blutigen Rechten nahm ich das Handy ans Ohr.