Schlag viertel nach zwölf stellte ich Maximilians Alfa in der Obermünsterstraße ab, an einer Stelle, an der das Parken eigentlich verboten war. Ich packte meine Tasche, knallte die Tür zu, lief mit klackernden Absätzen in Richtung Pfarrergasse. Von hier waren es keine hundert Meter bis zum »BellaDonna«.

 

  Ich konnte nicht verstehen, warum Benedetta Mona nicht gleich von Anfang an zu Hilfe gekommen war, ausgerechnet in einer solchen Situation. Sie musste doch gemerkt haben, wie es um Mona stand. Außerdem war es nicht Benedettas Aufgabe, Bestellungen zu erfassen – normalerweise erledigten das Mona oder ich. Allmählich platzte mir wirklich der Kragen.

 

  Von Weitem sah ich schon das ochsenblutrote Gebäude, in dem meine Boutique untergebracht war. Davor die obligatorischen Ständer mit den Angeboten, momentan die letzten Stücke in lichtem Gelb und strahlendem Orange aus der Sommerkollektion. Ich überholte ein amerikanisch aussehendes Paar, beide mehr als wohlgenährt, in den unmöglichsten Farben gekleidet und mit schier unzähligen Tüten behängt. Es begann zu tröpfeln.

 

  Die Tür zum »BellaDonna« stand offen. Im Inneren beugte sich Mona gerade über das rote Plüschsofa, das Glanzstück meines Ladens, faltete etwas zusammen und ging nach hinten in Richtung Küche. Benedetta hingegen konnte ich nirgendwo entdecken.

 

  Mit jedem Schritt wurde ich wütender. Ich schwor mir, Benedetta in der Luft zu zerreißen, stürmte auf die Tür zu, und plötzlich krachte und knallte und blitzte es, als ob ich in der Hölle selbst gelandet wäre. Tausend, nein, Millionen Splitter schossen an mir vorbei, Steine, Scherben, Trümmer. Instinktiv verbarg ich Gesicht und Kopf in beiden Armbeugen, duckte mich hinter einen Mauervorsprung.

 

  Einen Wimpernschlag lang schien alles stillzustehen. Ich fühlte mich, als wäre ich aus der Zeit gefallen, völlig gelähmt, versuchte zu begreifen, was das eben gewesen war. Warum es nach diesem Vulkanausbruch auf einmal so still war, so ganz und gar still, als wäre die Welt in einem tiefen schwarzen Loch versunken. Selbst das Denken funktionierte nur in Zeitlupe.

 

  Eine Bombe ...

 

  Kein Zweifel – in meinem »BellaDonna« war ein Sprengsatz hochgegangen!

 

  Ich ließ die Arme sinken, sah aus dem Augenwinkel die Amerikaner zu mir herüberstarren, mit offenen Mündern und schreckensweiten Augen, blickte an mir herunter, registrierte jede Einzelheit nur mit Verzögerung, einer Verzögerung, die wohl nur Sekunden dauerte, sich jedoch anfühlte wie Minuten oder gar Stunden.

 

  Kein Blut, keine sichtbaren Verletzungen, auch keine Schmerzen. Arme, Hände, Beine, ich konnte alles bewegen. Offenbar konnte ich auch wieder hören. Durch ein Rauschen, das in meinen Ohren beständig an- und wieder abschwoll, nahm ich wahr, dass es dort, wo gerade eben noch ein wütendes Ungetüm getobt und gebrüllt hatte, nur noch leise vor sich hin barst, knisterte und schepperte.

 

  Irgendwo klappten Türen und Fenster. Aufgeregte Stimmen, schnelle Schritte. Jemand schrie: »Oh my God

 

  Die Amerikaner, wurde mir bewusst, kauerten wie ich am Boden, ihre Tüten wild verstreut, manche aufgeplatzt. Ständig musste ich husten, bekam kaum Luft. Mein Herz klopfte und hämmerte, als wollte es meine Brust zersprengen, meine Augen tränten. Dann, ganz vorsichtig, lugte ich um den Mauervorsprung.

 

  Rauch quoll aus der Boutique, pechschwarz und drohend, zerfaserte an den Rändern, waberte die Hausfassade hinauf. Zerfetzte Kleidungsstücke lagen herum, die eben noch so leuchtenden Farben jetzt schmutzig grau, darauf Glasscherben, zersplittertes Holz, Mauersteine. Da und dort züngelten Flammen.

 

  Ich rappelte mich mühsam hoch, wagte einen Blick in den Laden. Die Tür war aus den Angeln gerissen, das Plüschsofa nicht mehr da. Anstelle der Fenster nur klaffende Löcroher, die Regale im Ladeninneren in Schutt und Asche.

 

     Mona war verschwunden.