Schmutziges Gift (die ersten Seiten)

 

Das sonore Brummen der beiden Hubschrauber mischte sich mit dem dumpfen Dröhnen des großen Diesels zu einem monotonen, einschläfernden Klangteppich.

 

»Und Sie meinen wirklich, Sir, es kann nichts passieren?«, fragte Sergeant Ken Harris, der Fahrer des letzten Lkw im Konvoi, seinen Beifahrer Captain John McCray. Dabei musste er fast schreien, um den Lärm zu übertönen.

 

Die Spitze des Konvois bildeten zwei gepanzerte und voll besetzte Mannschaftswagen, ihnen folgten fünf der schweren olivgrün lackierten Sattelschlepper, in deren letztem Harris und McCray saßen. Den Schluss bildeten zwei weitere Mannschaftswagen voller Soldaten in Kampfanzügen und mit durchgeladenen halbautomatischen Gewehren. Über ihnen schwebten in einer Höhe von hundert bis zweihundert Fuß zwei mit Boden-Luft Raketen bewaffnete Sikorsky-Kampfhubschrauber, die zur Ausrüstung der Royal Navy gehörten.

 

Als McCray nicht antwortete, sah Harris auffordernd zu ihm hinüber. Es war das erste Mal, dass der junge Sergeant bei einem solchen Transport dabei war, und er war entsprechend aufgeregt. Der Captain seufzte, blickte auf die entsicherte Pistole hinunter, die er mit festem Griff im Schoss hielt.

 

»Die Container sind aus so dickem Stahl, dass sie sogar durch eine panzerbrechende Granate nicht ernstlich beschädigt werden könnten. Sie überstehen einen freien Fall aus fünfzig Fuß Höhe und einen einstündigen Brand mit einer Temperatur von achthundert Grad Celsius. Sie können also völlig unbesorgt sein, Harris.«

 

»Ich mache mir keine Sorgen, Sir. Es interessiert mich einfach nur. Technik ist mein Steckenpferd.«

 

»Dann halten Sie ab jetzt den Mund und achten auf die Straße. Nicht, dass wir am Ende noch im Graben landen und uns zum Gespött des ganzen Stützpunkts machen.«

 

McCray hatte recht. Die Straße war wirklich verteufelt schmal und kurvig. Aus Sicherheitsgründen hatte man wie üblich eine abgelegene, wenig befahrene Route gewählt, die zudem für die Dauer ihrer Durchfahrt in beide Richtungen gesperrt war. Und wie jedesmal war es wieder eine andere Strecke als die, welche der letzte Transport vor drei Monaten genommen hatte.

 

Der Konvoi machte kaum zehn Meilen in der Stunde, die fünfachsigen Bedford-Sattelschlepper, die die kostbare Fracht ihrem Ziel entgegen schleppten, hatten Weisung, mindestens zwanzig Yards Abstand zu halten. Schon unzählige solche Transporte waren durchgeführt worden, seit das Vereinte Königreich über atomar bewaffnete U-Boote verfügte, und noch niemals war dabei irgendetwas Ernsthaftes vorgefallen. Dennoch klebten Harris’ Hände feucht am großen, heftig vibrierenden Lenkrad.

 

Das Sträßchen führte in einer weiten Linkskurve aus dem dunklen Fichtenwald heraus, den sie in den vergangenen fünfzehn Minuten durchquert hatten. Die Hubschrauber gingen wieder ein wenig tiefer, das Brummen der Turbinen und das Schnattern der Rotoren wurden lauter. Hügelland tat sich vor ihnen auf, saftiges, schottisches Weideland mit Schafen darauf, die jetzt verblüfft die Köpfe wandten, um zu sehen, woher dieser plötzliche Lärm rührte, der ihren ländlichen Frieden störte.

 

Alle zwei Jahre mussten die mit Atomsprengköpfen bestückten Polarisraketen der vier britischen Atom-U-Boote der Vanguard-Klasse zur Überholung ins Ausbesserungswerk in Kirkintilloch gebracht werden, fast einem Vorort von Glasgow, und zwei Wochen später wieder zurück zur Flottenbasis Faslane-on-Clyde. Runderneuert, durchgecheckt, mit upgedateter Software versehen und manchmal sogar frisch lackiert.

 

»Und wenn, Sir – nur als Beispiel – der Truck zu brennen beginnen würde?« 

 

McCray verdrehte die Augen. »Für diesen Fall haben die Kameraden in den Begleitfahrzeugen sehr viele sehr große Feuerlöscher dabei. Außerdem, was soll denn da brennen, bitte schön? Und jetzt halten Sie endlich den Mund, Sergeant Harris. Das ist ein Befehl!«

 

»Ay, ay, Sir.«

 

Natürlich wusste Harris, was sich in den gepanzerten und feuersicheren Superspezialcontainern befand. Die Wände der Baracken in Faslane waren nicht dicker als die in anderen Militärstützpunkten, und ein feines Gehör sowie ein gut funktionierender Informationsfluss waren schon immer die beste Lebensversicherung der gemeinen Soldaten gewesen.

 

Die Straße führte jetzt in eine Senke hinab, nach einer gefährlich scharfen Kurve über eine kleine Brücke, unter der ein lebhafter Bach schäumte, zum nächsten Hügel hinauf. Harris schaltete zurück, trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Der Diesel brüllte auf, tat, was er konnte, aber dennoch wurde der Truck – wie die fünf vor ihm – langsamer und langsamer. Oben kam ein Wegweiser in Sicht. Eine Abzweigung nach rechts zu irgendeinem abgelegenen Gehöft oder einem gottverlassenen Weiler.

 

Endlich hatten sie die Steigung geschafft, die Abzweigung kam näher, Harris schaltete krachend hoch, ging jedoch gleichzeitig vom Gas, so dass der Abstand zum Truck vor ihnen größer wurde.

 

Links, etwa fünfzig Yards vom Straßenrand entfernt, stand eine grau verwitterte, windschiefe Scheune mit löchrigem Strohdach. Weit und breit kein Mensch, kein Haus, kein Leben abgesehen von diesen immer noch dämlich glotzenden und unentwegt kauenden Schafen.

 

»Und wenn – nur so als Beispiel«, begann Harris erneut, »eine der Sikorskys abstürzt und … Ups, was war denn das?«

 

Von der Scheune her war etwas in die Luft gezischt, das eine weiße Rauchsäule hinterlassen hatte. Dieses Etwas hatte den vorderen Hubschrauber getroffen, und bevor sie überhaupt einen Knall gehört hatten, verwandelte die schwere, waffenstrotzende Maschine sich in einen funkensprühenden Feuerball, der um sich selbst kreiselnd wie ein Meteor vom Himmel stürzte.

 

Harris trat hart auf die Bremse, sah aus den Augenwinkeln eine zweite Rauchsäule, die nicht in den Himmel wuchs, sondern in seine Richtung schoss, allerdings nicht waagerecht, sondern im Winkel von etwa dreißig Grad nach oben. Er hörte das Krachen, meinte sogar, die Druckwelle der Explosion zu spüren, hörte, wie die Triebwerke der Sikorsky über ihnen abrupt verstummten.

 

Die dritte Rakete traf den Truck vor ihnen. Dessen Fahrer hatte noch die Tür aufgerissen, wollte wohl fliehen, aber bevor sein Fuß den bröckeligen Asphalt der miserabel in Stand gehaltenen Straße berührte, existierten er und der Offizier auf dem Beifahrersitz nicht mehr. Die Raketen zischten jetzt in rascher Folge aus der Scheune, trafen den zweiten, den dritten, den ersten Transporter. Die zuerst getroffene Sikorsky donnerte mitten in eine Gruppe Schafe, die zweite irgendwo in der Nähe in den Wald, der in der nächsten Sekunde lichterloh in Flammen stand. Nur ein Truck war bisher verschont geblieben, der, in welchem Harris und McCray saßen. Dieser Umstand war jedoch weder großem Glück noch einem unwahrscheinlichen Zufall zu verdanken.

 

Harris nahm McCray, der mit offenem Mund auf das lodernde Inferno um sie herum starrte, die Glock 17 aus der erschlafften Hand und schoss ihm in kurzer Folge zwei Kugeln in den Kopf. Dann rammte er den ersten Gang ins Getriebe, setzte sogar den Blinker, als er in das Seitensträßchen einbog, schaltete hoch, trat das Gaspedal durch, und bald darauf war der Truck in dichtem Nadelwald verschwunden.