Leseprobe Nacht über Elba

 

Fiorina betrat die gläserne Aufzugskabine, drückte den unteren Kopf. Leise summend setzte sich das Gefährt in Bewegung. Es fuhr auf fast senkrecht abfallenden Schienen, benötigte nur wenige Sekunden, dann war sie unten, verließ die Kabine, fand sich auf einem Kiesstrand wieder.

Das Meer war immer noch aufgewühlt, schäumte und rauschte, die Wellen erreichten manchmal fast ihre Füße. Gerade schien wieder einmal der Mond durch eine Wolkenlücke und beleuchtete das gespenstische Ambiente.

Fiorina leuchtete die Felswände ab auf der Suche nach einem Spalt, einer Umkleidekabine, irgendetwas, wo man jemanden verstecken konnte. Aber auch hier – nichts. Rechts hatte jemand Stufen ins Gestein gehauen. Sie mündeten einige Meter höher in einen schmalen, steil ansteigenden Pfad, der sich in Serpentinen in die Höhe wand ...

Immer wieder rief sie Hagens Namen. Die Stimmen von Federico und Nils hörte sie jetzt nur noch gedämpft. Verzweifelt betrat sie schließlich wieder die Kabine, fuhr hinauf.

Oben angekommen, trat sie an ddas Geländer, das den Rasen von den steil abfallenden Klippen trennte. Starrte hilflos hinab in die Tiefe, wo die Brandung brüllte und Gischt spritzte. Hier einen Leichnam loszuwerden, wäre so einfach. Doch sie weigerte sich, den Gedanken zuzulassen, das feindselige Meer dort unten könnte Hagens Grab sein. Der Gedanke war ihr einfach unerträglich.

Die Frage, die sie sich in den vergangenen Wochen wieder und wieder gestellt hatte, beantwortete sie jetzt endlich mit einem klaren Ja. Ja, sie liebte ihn. Ja, sie konnte sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Ohne seine Zärtlichkeit, ohne seine deutsche Pingeligkeit, die ihr manchmal auf die Nerven ging, ohne sein Lachen, sein fehlerhaftes, mit jedem Tag ein wenig besser werdendes Italienisch. Und ohne seine tiefe Stimme, die mal hart und kalt klang, mal liebevoll und warm.

Irgendwann wurde ihr bewusst, dass es wieder regnete. Ihre Haare waren schon klatschnass, die Tränen mischten sich mit denen des Himmels.