»Sie haben heute etwas gesagt, das mir sehr zu denken gegeben hat«, sagte Yvonne Urban endlich. Sie klang fast ein wenig beschämt und erinnerte nicht mehr im Entferntesten an die Königin, in deren Rolle sie noch vor wenigen Stunden geschlüpft war. »Es ist wahr, ich bewundere Jiří. Von Anfang an habe ich ihn bewundert. Er ist so völlig anders als alle Menschen, die ich jemals kennengelernt habe.« … »Jiří hat Träume und vor allem hat er Ideale, das hat mir von Anfang an imponiert. Ich habe sofort gespürt, dass er ein klares Ziel vor Augen hat. Und dass er bereit ist, alles dafür zu tun.«  Ihr Ton war nun sehr persönlich geworden. Wieder sah sie hinunter auf den Fluss, noch immer angespannt, als suchte sie etwas auf der silbernen Wasseroberfläche, das sie dort vor Langem verloren hatte.  »Und der Erfolg hat ihm recht gegeben, in Ulm genauso wie hier in Regensburg«, fügte sie nachdenklich hinzu. »Aber es gibt leider auch Menschen, die eifersüchtig sind auf seinen Erfolg.«

 »Menschen wie Kranich?«, fragte ich.

 Yvonne Urban nickte.

 »Hat es zwischen ihm und Herrn Svoboda Streit gegeben – damals, nach dem Unfall?«

 Immer noch starrte sie auf das glitzernde Wasser, schien mich völlig vergessen zu haben. Irgendwann sah sie mich an, doch wie durch einen Nebel, und kehrte nur langsam wieder zurück auf die sonnenhelle Terrasse. Ohne sie aus den Augen zu lassen, führte ich das Glas an die Lippen. Zu spät bemerkte ich den Löffel, der immer noch darin steckte. Ich wollte ihn auf den Tisch legen, verfehlte dabei die Platte. Klimpernd fiel er zu Boden. Ich fluchte leise auf Italienisch, bückte mich.

 »Und wie sie gestritten haben«, hörte ich sie sagen. »Mit einem Menschen wie Kranich kann ...«

 Später wusste ich nicht mehr, was ich zuerst wahrgenommen hatte. Dieses Zischen über meinem Kopf, als ich mich wieder aufrichtete. Diesen kleinen, überraschten Laut, von dem ich erst den Bruchteil einer Sekunde später verstand, dass Yvonne Urban ihn ausgestoßen hatte. Ihre weit aufgerissenen, wie eingefroren wirkenden Augen, als ich den Blick hob und sie wieder ansah, das Blut an ihrer Stirn. Alles geschah gleichzeitig und erschien mir ganz und gar unwirklich. Ihr Kopf flog nach hinten, ein Krachen wie von hundert Scherben, sie rutschte nach unten. Das Kissen an der Stuhllehne, auf dem ihr Hinterkopf aufgeprallt war, war nicht mehr gelb, sondern rot, über und über.

 Die Kugel hatte sie mitten im Satz und mitten in die Stirn getroffen. Instinktiv duckte ich mich sofort wieder, kroch unter den Tisch, drückte mich so flach wie nur irgend möglich auf die Terracottafliesen, wartete auf weitere Einschläge. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Auf der Dachterrasse bot ich ein perfektes Ziel. Den einzigen Sichtschutz bildeten die vielen Pflanzentöpfe und -kübel.

 Bumm-bumm-bumm, hämmerte mein Herz.

 Ich starrte auf Yvonne Urbans Zehen, nur wenige Zentimeter von meiner Nase entfernt, auf die Scherben des zerbrochenen Blumentopfs hinter ihrem Stuhl, nahm aber nichts davon wirklich wahr. Irgendwo klappte eine Autotür zu. Kinderstimmen von der Straße. Verkehrsrauschen vom anderen Donauufer.

 Von wo hatte der Mörder geschossen?

 Wann drückte er wieder ab?

 Bumm-bumm-bumm.

 Ich verkroch mich noch mehr unter dem Tisch, presste den Körper noch fester auf den Boden, obwohl beides kaum mehr möglich war, bemerkte, dass ich den Atem angehalten hatte. Ich schnappte nach Luft und ertappte mich dabei, dass ich zu beten begonnen hatte.