Die linke Hand des Bösen

Ich würde nicht hineingehen – das wurde mir in der Sekunde klar, als ich die Hand auf die zerkratzte Aluminiumklinke legte. Sie gehörte zu einer schäbigen Wohnungstür im zweiten Obergeschoss eines zugigen Mietshauses. Die Tür war nur angelehnt, stellte ich fest, und was mich dahinter erwartete, brauchte ich nicht.

Nicht mehr.

Nie mehr.

Ich musste mir das auch gar nicht antun, denn schließlich war ich der Chef hier. Mein Job war es, meine Leute anzuleiten, darauf zu achten, dass sie ihre Arbeit ordentlich machten. Meine Aufgabe war es nicht, ihnen dabei im Weg zu stehen und mit gutgemeinten Ratschlägen auf die Nerven zu gehen.

Sollten sie von mir denken, was sie wollten – ich würde nicht durch diese Tür treten.

Heute war Mittwoch, der sechzehnte November. Buß- und Bettag. Obwohl schon nach neun, war es draußen noch immer nicht richtig hell, und es herrschte ein Wetter, um sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Was also wollte ich hier?

 

Ich war gerade dabei gewesen, mit Theresa zusammen den Frühstücktisch abzuräumen, als der Anruf kam: Einer meiner Mitarbeiter war tot. Arne Heldt. Ermordet in Ziegelhausen, einem Vorort östlich von Heidelberg. Hinter dieser hässlichen, walfischgrauen Holztür hatte er vor Kurzem noch gelebt.

Im Grunde hatte ich ihn kaum gekannt, diesen Arne Heldt. Er war erst seit wenigen Monaten bei uns. Als er kam, ich meine, es war am ersten September, einem strahlenden, herrlich warmen Spätsommertag, war er zu mir gekommen, um sich vorzustellen. Ich hatte ihn leutselig begrüßt, ihm ein paar launige Bemerkungen mit auf den Weg gegeben, ihn Klara Vangelis zugeteilt und fast sofort wieder vergessen.

Ein unscheinbarer Mensch war er gewesen, der neue Mitarbeiter, mehr konnte ich eigentlich nicht über ihn sagen. Still, ernst, vielleicht ein wenig verbissen. Um nicht zu sagen: verbittert. Ein Mensch, den man leicht wieder vergisst. Schon über Sechzig war er gewesen und in ein, zwei Jahren hätte er in Pension gehen können. Nie hatte ich Klagen gehört. Aber auch nie ein Lob.

Aus der Wohnung drangen halblaute Geräusche, Gemurmel, Kameraklicken, hin und wieder ein verhaltenes Lachen, das sofort wieder erstarb. Dieses Lachen, das immer wieder aufkommt, wenn man das Grauen anders nicht mehr erträgt. Vorsichtig drückte ich die Tür ein wenig weiter auf, blickte in einen länglichen Flur, von dem auf jeder Seite zwei Türen abgingen und eine fünfte am gegenüberliegenden Ende, wo sich vermutlich das Wohnzimmer befand. Sie war als Einzige geschlossen.

Ein Schwall von Altmännermief und abgestandenem Zigarettenqualm kam mir entgegen. Der tote Kollege war offenbar Raucher gewesen.

In sämtlichen Räumen war das Licht eingeschaltet, dennoch war es nicht hell in diesem stinkenden Flur, dessen Boden von einem verschlissenen Läufer im Orientlook bedeckt wurde. Darüber war jetzt eine dünne Plastikfolie gebreitet, die vermeiden sollte, dass eventuell vorhandene Spuren vernichtet oder unabsichtlich falsche Spuren gelegt wurden durch Haare und Hautschuppen der Menschen, die sich um das Elend dort drinnen kümmern mussten.