Leseprobe aus "Schmutzige Deals" (kostenloses Prequel zu "Schmutziges Gift")

 

Linda

Inzwischen war Nachmittag. Marc und ich waren so vertieft in unsere Zärtlichkeiten zum Nachtisch gewesen, dass wir eine Weile nichts mehr mitgekriegt hatten von der Welt da draußen, und anschließend waren wir sogar noch Arm in Arm eingepennt. Ich gab es ungern zu, aber sein High-Tech-Gerümpel hatte wirklich den einen oder anderen Vorteil.

 

»Trotzdem«, sagte ich und wühlte in meinem Koffer, »bringt uns das alles nicht weiter. Ich will jetzt endlich wissen, was da drüben läuft.«

 

Trotz unserer Kuschel- und Streichel-Spielchen sah Marc mir interessiert zu, wie ich aus meinen Casual-Wear-Klamotten stieg und in das Nobel-Outfit schlüpfte, das ich eigentlich deshalb eingepackt hatte, um am letzten Abend unserer Tour stilvoll den erfolgreich abgeschlossenen Erst-Auftrag von »Private Eye« zu feiern. Momentan sah es zwar nicht so aus, als würden wir uns bald in einem kleinen, feinen Lokal mit hiesigen Spezialitäten verwöhnen lassen, aber die perlmuttfarbene Bluse, das dunkle Kostümchen und die roten High-Heels würden uns hoffentlich Türen und Tore der ominösen France Levèvre SNC öffnen.

 

»Gib mir mal deine Notebooktasche«, bat ich Marc, nachdem ich ihm meinen Plan erklärt hatte. Der nette Dönermann hatte mich auf eine Idee gebracht. Ich hängte mir Marcs angeberische Ledertasche über die Schulter. »So müsste ich als Journalistin durchgehen, oder?«

 

Er verdrehte seine schönen Augen, mit denen er mich schon bei unserer ersten Begegnung um den Finger gewickelt hatte, und nickte schließlich. 

 

»Allein lasse ich dich da aber nicht reingehen.« Marc suchte und fand meine alte, analoge Canon-Kamera im Koffer, hielt sie triumphierend hoch. »Ich bin dein Fotograf.«

 

Mein Lebenspartner und Co-Schnüffler war der Meinung, für diese verantwortungsvolle Aufgabe müsse auch er sich in Schale werfen. Aber ich plädierte dagegen. Ein freischaffender Fotograf konnte sich noch nicht mal die Designer-Jeans leisten, die Marc gern im Alltag trug. Trotz seines Protests machte ich sicherheitshalber das Valentino-Label ab.

 

Wir stiegen aus. Nach fünfzig  Metern rempelte ich Marc an – das Pärchen im VW-Bus war immer noch da. Die beiden beobachteten wie wir die France Levèvre SNC, eindeutig. Marc blieb stehen, zündete sich eine Zigarette an, mit seinem erst kürzlich angeschafften Spionage-Feuerzeug, das neben der eigentlichen Funktion über eine integrierte Minikamera und noch ein paar andere Extras verfügte. Selbst wenn das Pärchen nur halb so verpeilt wäre, wie es aussah, würden die beiden nicht merken, dass Marc gerade ihr Kennzeichen fotografierte.

 

An der Pforte hielt ich dem schwarz gekleideten Zwei-Meter-Mann in seinem Häuschen meinen alten Presseausweis von der Kölner Rundschau unter die Nase und textete ihn in fließendem Französisch zu. Er wusste natürlich weder etwas von unserer angeblichen Reportage über aufstrebende junge Firmen in Frankreich, noch kannte er einen Monsieur Dubois, mit dem wir angeblich einen Termin hatten. Immerhin machte mein Auftritt so viel Eindruck auf ihn, dass er mit misstrauischem Blick zum Telefon griff. Ich tat so, als würde ich meinerseits wutentbrannt mit der Redaktion telefonieren.

 

Als er auflegte und Anstalten machte, uns in die Wüste zu schicken, veranstaltete ich ein Riesentheater. Lamentierte über die doofe Assistentin des Chefredakteurs, die ständig Termine verschusselte, erwähnte nebenbei den Bürgermeister von Reims, der uns heute angeblich auch noch ein Interview geben würde. Wieder wurde telefoniert, man schien nun doch einen Skandal zu fürchten, der Chef, ein Professor Moreau weilte auf einer Tagung in San Franzisco, schließlich fiel das Wort »Pressesprecherin«, und endlich winkte uns der Muskelmann durch.

 

 

 

Marc

 

Die unerwartet hübsche Pressetante beherrschte die Kunst perfekt, ohne Pause zu reden und dabei sehr wenig zu sagen. Angeblich beschäftigte sich die Firma mit der Entwicklung neuer, zukunftsweisender Impfstoffe und Arzneien für die moderne Tierhaltung. Angeblich werde die France Levèvre SNC die Welt dereinst schöner und glücklicher machen, die in Massenhaltung dahinvegetierenden Tiere lebenslustiger, die Menschheit satter, freundlicher und fröhlicher. Weniger Krisen werde es geben, weniger Kriege und blablabla.

 

Immerhin hatten sie einen wirklich vorzüglichen Kaffee.

 

Linda stellte kluge Fragen, gab sich ungeheuer interessiert, und am Ende durften wir einen kleinen Rundgang machen, sogar durch ein Fenster aus wahrscheinlich schusssicherem Glas einen Blick in eines der hypermodernen Labore werfen, wo Menschen in weißer Schutzkleidung, mit Haarnetzen, Mundschutz und Handschuhen geheimnisvolle Experimente machten. Fotografieren durfte ich natürlich nicht, wegen Geheimhaltung und so, man werde uns jedoch gerne Bildmaterial zur Verfügung stellen. Was gut war, denn sonst wäre Madame Larue vermutlich aufgefallen, dass ich der letzte Bildjournalist dieses Planeten war, der noch eine analoge Spiegelreflexkamera spazierentrug. In der sich übrigens nicht einmal ein Film befand.

 

Ich beschloss, unserem kleinen, steil aufstrebenden Detektivbüro demnächst eine zeitgemäße Kameraausrüstung zu gönnen. Aber bevor Bauer Krempel seine fünftausend Euro nicht überwiesen hatte, brauchte ich Linda nicht darauf anzusprechen. Und der würde erst bezahlen, wenn seine Marie Antoinette wieder im Stall stand.

 

Hier schien es allerdings nirgendwo eine Marie Antoinette zu geben.

 

Während wir zum Besprechungsraum zurückgingen, fragte Linda, gegen welche Krankheiten genau man Medikamente entwickelte. Aber selbst das war geheim. Streng geheim sogar. Madame Larue war inzwischen ein wenig einsilbig geworden, hatte zwischendurch immer wieder kurz telefoniert, aber außer »oui«, »no« und »merci« nichts gesagt. Allmählich fühlte ich mich ein wenig unwohl. Linda dagegen gab sich entspannt und aufgeschlossen. Versprach, den Artikel selbstverständlich vor der Veröffentlichung zur Freigabe vorzulegen. Wir erreichten den Besprechungsraum, setzen uns noch einmal kurz an den Tisch für ein paar abschließende Worte. Da schwang die Tür auf, und zwei schwarz gekleidete, große und sichtlich kampferprobte Kerle traten ein, die dummerweise auch noch bewaffnet waren.

 

Madame Larue bat uns mit eisiger Höflichkeit, uns zu erheben, Kamera und Notebooktasche auf dem Tisch liegen zu lassen, und den Herren zu folgen. Bevor wir recht wussten, wie uns geschah, wurden wir aus dem Raum geführt, mit sanftem Druck eine Treppe hinabgeschoben, in den Keller. Einer der Männer, er hatte ungefähr das Format eines Wrestling-Stars, war Österreicher und erklärt uns in verbindlichem Ton und mit gemütlichem Akzent, was wir zu tun hatten. Mich nannte er »Herr Geheimrat«, Linda »gnädige Frau«. Unten ging es einen ewig langen, neonbeleuchteten Gang entlang. Offenbar waren die Firmengebäude unterirdisch miteinander verbunden. Einmal meinte ich auch, eine Nase voll Kuhstallgeruch wahrzunehmen.

 

Schließlich fanden wir uns in einem kühlen Lagerraum voller blauer Kunststofffässer und irgendwelchen chinesisch bedruckten Papiersäcken wieder, wo es nicht einmal Stühle gab. Die breite Stahltür krachte ins Schloss, ein Schlüssel wurde gedreht, und wir waren gefangen. Selbst Linda hatte es vorübergehend die Sprache verschlagen. Immerhin waren die Herren so freundlich gewesen, das Licht anzulassen und uns nicht mehr als unbedingt nötig weh zu tun.

 

»Fuck«, sagte Linda, als sie sich von ihrer Verblüffung erholt hatte. »Fuckfuckdreimalfuck!«